Das Bundesgericht (BGer) hat sich in seinem Urteil 9C_37/2023 vom 11. Juni 2024 unter anderem mit der Frage auseinandergesetzt, ob der Steueraufwand bei der Anwendung der Kostenaufschlagsmethode im Kontext von Artikel 58 Absatz 3 des Bundesgesetzes über die direkte Bundessteuer vom 14. Dezember 1990 (DBG; SR 642.11) in der Kostenbasis zu berücksichtigen sei oder nicht. Das BGer kam zum Schluss, eine Auslegung von Artikel 58 Absatz 3 DBG ergebe, dass die verbuchten und abgegrenzten Steuern in die Kostenbasis einzubeziehen seien. Bei Artikel 58 Absatz 3 DBG handle es sich um eine Norm des rein unilateralen Rechts, die nicht auf internationale Sachverhalte ausgelegt sei. An der kürzlich präzisierten und im Q&A der ESTV zum Thema Kostenaufschlagsmethode publizierten Praxis, dass in internationalen Sachverhalten der Steueraufwand nicht in die Kostenbasis einzubeziehen ist, ändert deshalb dieses Urteil des BGer nichts.
Dem obgenannten Urteil des BGer lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die Kraftwerke A. AG (Beschwerdegegnerin [BG]) bezweckt den Betrieb eines Kraftwerks. Materiell war zu prüfen, ob die BG ihre Leistung an das Aktionariat (sog. Partner) in den Steuerperioden 2009-2011 fremdvergleichskonform fakturiert hat (gemäss Art. 58 Abs. 3 DBG). Hierzu sei laut BGer der hypothetische Fremdvergleichspreis zu ermitteln, wie er sich aufgrund der von der BG an ihre Partner erbrachten Stromlieferungen in den Steuerperioden 2009-2011 ergebe.
In Artikel 58 Absatz 3 DBG nennt der Gesetzgeber die drei allgemein anerkannten Herangehensweisen, die im internationalen Kontext unter dem Begriff «geschäftsfallbezogene Standardmethoden» geläufig seien; die Aufzählung ist gemäss BGer abschliessend. Im obgenannten Urteil führte das BGer aus, die Eignung der Kostenaufschlagsmethode sei im vorliegenden Fall unbestritten. Konkret werde ein hypothetischer Vergleich angestellt, der auf kalkulatorischen Annahmen beruhe. Dies erfordere eine nähere Untersuchung, namentlich was die Bildung der Kostenbasis («Gestehungskosten» – als unbestimmter Rechtsbegriff – vor Vornahme des Kostenaufschlages) anbelange. Strittig sei, was positiv darin einzufliessen habe oder negativ davon auszunehmen sei. Laut dem BGer beruhen die «Gestehungskosten» gemäss Artikel 58 Absatz 3 DBG auf einem klaren betriebswirtschaftlichen Konzept, das die Vollkosten ins Zentrum stelle. Dadurch zeige der Gesetzgeber an, dass auch die Steuern in die Kostenbasis einfliessen sollen.
Gestützt auf die aktuelle Rechtsprechung des BGer hält die ESTV fest:
Der vom BGer im obgenannten Urteil angewendete hypothetisch/kalkulatorische Ansatz entspricht nicht dem in den OECD-Verrechnungspreisleitlinien (OECD-VPLL) grundsätzlich vorgesehenen Vergleich mit tatsächlichen Transaktionen. An die Vergleichbarkeit der Kostenbasis im nationalen oder internationalen Verhältnis sind daher unterschiedliche Anforderungen zu stellen. Vor diesem Hintergrund können nicht die gleichen Massstäbe für die Vergleichbarkeit der Kostenbasis angelegt werden wie bei internationalen Sachverhalten, wo Vergleichswerte typischerweise im Rahmen von Benchmarking-Studien vorliegen. Die Auffassung der ESTV stützt sich auf die nachfolgenden Überlegungen:
Artikel 58 Absatz 3 DBG als (Sonder-) Norm des rein unilateralen Rechts: Artikel 58 Absatz 3 DBG ist eine Norm des rein unilateralen Rechts, die – wie auch das BGer in seinem Urteil 9C_37/2023 vom 11. Juni 2024 erwog – nicht auf internationale Sachverhalte angelegt ist. Denn beim hypothetischen Fremdvergleichsgrundsatz gemäss Artikel 58 Absatz 3 DBG gehe es um einen Aspekt aus dem Bereich des unilateralen Bundesrechts, der nach den auf ein Bundesgesetz anwendbaren Regeln auszulegen und anzuwenden sei (vgl. Urteil des Bundesgerichts 9C_37/2023 vom 11. Juni 2024, E. 2.3.6).
Klare Regelung in den OECD-VPLL für konzerninterne Transaktionen im internationalen Kontext: Gemäss den OECD-VPLL vergleicht die Kostenaufschlagsmethode den Bruttogewinn (siehe OECD-VPLL 2022, Rz. 2.54 und Rz. 2.59), den verbundene Parteien in einer konzerninternen Transaktion erzielen, mit dem Bruttogewinn, den unabhängige Dritte in einer vergleichbaren Transaktion erwirtschaften würden. Konzeptionell gehen die OECD-VPLL davon aus, dass nur Kosten an den Leistungsempfänger weiterverrechnet werden können, die in engem Zusammenhang mit der Leistungserbringung stehen. Daher muss grundsätzlich unterschieden werden zwischen operativen Kosten, d.h. Ausgaben, die ein Unternehmen regelmässig tätigt, um Geschäftsabläufe und Systeme am Laufen zu halten und Leistungen zu erbringen, durch die Wertschöpfung generiert wird, und nicht-operativen Kosten (betriebliche Kosten, die nicht zum Kerngeschäft eines Unternehmens gehören). Der Steueraufwand steht nicht im Zusammenhang mit den zu verprobenden Funktionen und ist daher von der massgebenden Bemessungsgrundlage zur Ermittlung des Kostenaufschlags auszuklammern.
Vergleichbarkeit der Kostenbasis – methodische Aspekte bei der Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes: Die Anwendung der Kostenaufschlagsmethode erfordert, dass vergleichbare Kostenaufschläge auf vergleichbaren Kostenbemessungsgrundlagen vorgenommen werden. Für die fremdvergleichskonforme Verwendung von Verrechnungspreisstudien im Rahmen von Transaktionen, an denen Schweizer Unternehmen beteiligt sind, muss die Kostenbasis nach den gleichen Grundsätzen ermittelt werden (identischer Gewinn-Indikator), da eine Vergleichbarkeit der ermittelten Bandbreiten sonst nicht gegeben ist. Wenn also – der bundesgerichtlichen Rechtsprechung folgend – die verbuchten und abgegrenzten Steuern in die Kostenbasis miteinbezogen werden, wirkt sich dies entscheidend auf die Vergleichbarkeit von Benchmarkstudien aus, bei deren Berechnungsmethodik die Steuerbelastung nicht berücksichtigt wird. Erschwerend kommt hinzu, dass eine solche Einschränkung der Vergleichbarkeit von Benchmarkstudien durch Anpassungsrechnungen nicht sinnvoll behoben werden kann.
Eine über den Anwendungsbereich von Artikel 58 Absatz 3 DBG hinausgehende, präjudizielle Wirkung des Urteils des Bundesgerichts 9C_37/2023 vom 11. Juni 2024 ist nach Ansicht der ESTV abzulehnen. Die vom BGer in diesem Urteil angewandte Praxis zur Bildung der Kostenbasis steht nicht im Einklang mit den OECD-VPLL und wird von der ESTV bei internationalen Sachverhalten nicht angewendet. Daher bleibt die Praxis der ESTV für konzerninterne Transaktionen im internationalen Kontext unverändert und nicht-operative Kosten wie Steuern werden weiterhin nicht in die Kostenbasis einbezogen (vgl. www. estv.admin.ch/estv/de/home/internationales-steuerrecht/verrechnungspreise.html).